Das Rathaus aus dem 16. Jahrhundert

Rathaus in Hohen-Sülzen Westansicht ca. 1903
Rathaus in Hohen-Sülzen Westansicht ca. 1903
Rathaus in Hohen-Sülzen Nordansicht ca. 1903

Das Rathaus in Hohen-Sülzen verdankt sein heutiges Vorhandensein dem Hessischen Denkmalschutzgesetz vom 16. Juli 1902. Es war damals in einem erbärmlichen Zustand und stand einem Abbruch sicherlich viel näher als einer Restaurierung.

Der Denkmalschutz interessierte sich für das Gebäude und erstellte 1903 ein Gutachten, in welchem die besondere Architektur als »kunsthistorisch sehr interessant und auch in seinen Einzelheiten als so gediegen« bezeichnet wurde. Es sei der größte Wert auf die Erhaltung dieses Bauwerks zu legen.

Die Kosten für die Renovierung wurden auf 10.500 Mark beziffert, davon zahlte später die Gemeinde 9.500 und der Staat 1.000 Mark. An die Renovierung 1906 erinnert noch heute eine Inschrift an einem südwestlichen Quaderstein: »Erbaut im 16. Jahrhundert. Wiederhergestellt im Jahre 1906 unter der Regierung des Großherzogs Ernst Ludwig.«

Während der Erweiterung und Renovierung der Simultankirche um 1800 hielt die katholische Gemeinde ihre Gottesdienste in der Ratsstube ab.

Das Erdgeschoss wurde gegen Ende des 19. Jahrhunderts als Schmiede genutzt. Um 1870 gab es hier einen Schmied mit dem Namen Philipp Schmitt. Um 1835 gab es einen Bäcker namens Weil im Rathaus. In den oberen Räumen war zeitweise ab 1923 die Dorfschule, von der 1. bis zur 4. Klasse untergebracht.

Ehemals gab es im Erdgeschoss einen freien großen Hallenraum sowie eine so genannte Betzelskammer von 7 qm ohne Lichtöffnung, welche ein Haftlokal war. Übeltäter wurden dort tagsüber, zur Zeit des größten Straßenverkehrs (meist zwischen 11 Uhr und 1 Uhr) eingesperrt. Dieses »Betzekämmerche«, in anderen Regionen auch Narren- oder Hundehaus genannt, ersetzte in gewisser Hinsicht den Pranger.

Bei der Renovierung entstand ein weiterer Raum für die Feuerwehr. Das obere Geschoss musste vollständig abgetragen werden und wurde nach sorgfältiger Aufnahme des alten Bestandes wieder aufgebaut. Die Freitreppe mit Altan zum Obergeschoss auf der südlichen Giebelseite wurde gleichermaßen wieder hergestellt wie auch das reichhaltige Fachwerk des Obergeschosses mit Brüstungsfeldern »Wilder Mann« (von Runen abgeleitet wäre dieses Zeichen für Wotan stehend) und Andreaskreuz verziert. Die Fenster sind mit fränkischen Erkern versehen.

In seinem Buch »Runenhäuser« hat der Verfasser eine andere Deutung des Fachwerks. Er geht davon aus, dass die altgermanischen Runen als Heilszeichen – also mit Sinnbedeutung – bewusst über viele Jahrhunderte immer wieder in Bauten sichtbar eingesetzt wurden. Er schreibt folgendes: »Das Rathaus Hohensülzen birgt auch unter den Fenstern viermal die Malraute und zwar in Form des über die Raute gelegten Fyrboks (Feuerbocks). Da zwischen yr mit Hochschenkeln und sehr verkürztem man-Aufsatz; im Oberstock zwei solche yr-Runen links und rechts als beherrschende Tragstützen; in der Mitte ist eine dritte durch die Fenster gedrückt, sodass sie zur eigentlichen richtigen Runenform gelangt. Diese drei haben oben keinen Ansatz. Aber links und rechts der oberen Fenster ergibt sich der liegende Bauern-Hagal. So gibt der Giebel: Inständig führe die Feuerzeugung aus Irrung zu Mannestum; die Dreiheit (Dreifaltigkeit) des Seins überstrebe dein Hag, dein Heimgeschlecht. Das Vorbau-Giebelchen hat entweder die is-Rune, oder den gewendeten Hammer; die rechte Längswand dieses Anbaus steht auf mal is – dauernde Mehrung.«
Anmerkung: Ob die Erbauer des Rathauses im 16. Jahrhundert noch so viel über germanisches Brauchtum und Runen wussten, oder ob sie nur so bauten, wie sie es von ihren Vorgängern übernommen hatten, bleibt wohl ungeklärt.

Rathaus in Hohen-Sülzen nach der Renovierung 1906
Ratssaal im Rathaus nach der Renovation 1906

Das Rathaus war stets der Amtssitz des Schultheißen und ab dem 19 Jahrhundert auch Sitz des Bürgermeisters und des Gemeinderats. Die heutige barocke Einrichtung erinnert noch an die Zeit, in welcher Hohen-Sülzen zu Österreich gehörte. Die Stühle zeigen gleichermaßen den doppelköpfigen österreichischen Adler wie auch die Türbeschläge. Ehemals war der österreichische Adler auch auf die Saaltüre des »kayserlich-königlich Grafschaftlich Falkensteinischen Bürgermeisteramts« aufgemalt.

Im Ratssaal befindet sich ein Aktenschrank von 1732. Der großherzogliche Regierungsbaumeister Beer hatte diesen zufällig in einer kleinen Schreinerei entdeckt und für das Rathaus gewinnen können. Beim Zerlegen des Schrankes, welcher der Aufbesserung bedurfte, »fand sich hinter einer kleinen Zierleiste eine handgeschriebene Urkunde, die einen bemerkenswerten Aufschluss über die Entstehung des Schrankes liefert, zugleich aber auch ein beredtes Zeugnis darüber ablegt, mit welchem Selbstbewusstsein und für unsere Zeit bewundernswertem Ernst der biedere Handwerksmeister seine Arbeit vollführt hat.«

Das alte Dokument hat folgenden Wortlaut:
»Im Jahr nach der gnadenreichen Geburt unseres Herrnn und Heylandes Jesu Christi Anno 1732 habe ich Johann Henrich Wörner diesen schrank zu meinem Meister-Stik oder zu meiner meisterlichen Brob gemacht, und verfertigett, auf dem kleinen baraden blatz habe ich gewonet in dem zweyten Hauß auf rechter hand, wan man dem Blatz hinab gehet, meiner Frau ist Eva, Maria, Eine geborne Hermänin (ihre mutt war eine geborene Hitschlerin) und mein Vaterland war im hochfirschtlig hessischen Darmstättischen land, Dauernheim (in den fultischen mark). Weil ich der erste bin, welcher fremdt hier herkommen ist und das fremde meister Stick meines das erste ist, so will ich diesen brif an meinem Schrank in ein verborgen Ort hineinlegen, dass man nach einer langen Zeit nach mir sehen und vernehmen kann, wie alt doch dieser Schrank sein mach. Zu dieser Zeit sein wir in der Königlichen, Frankischen schutz und herrschaft gewesen, und diese statt ist eine Königliche festung, und schlissel zum Königreich gewesen, und noch solang als gott will, Gott verleye das wir in einer solchen Zeit vortfahren, wie wir Jetzunder sin, in einem geruligen und frietligen leben sind, sey gott gelobett Jetzt und zu Ewigen Zeiten, amen, amen. Dieses ist geschehen den 23. mertz 1732.«

Rathaus in Hohen-Sülzen Westansicht 2002